Vitaminurteil des „Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften“

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Urteil des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-154/04 und C-155/04 – Alliance for Natural Health, National Association of Health Stores u. a. / Secretary of State for Health

Der Gerichtshof bestätigt die Gültigkeit der Gemeinschaftsrichtlinie über Nahrungsergänzungsmittel

Ein „Positivlistensystem“ ist geeignet, den freien Verkehr von Nahrungsergänzungsmitteln sicherzustellen und den Schutz der menschlichen Gesundheit zu gewährleisten.

Im Juni 2002 haben das Europäische Parlament und der Rat eine Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel1 erlassen. Diese Richtlinie stützt sich auf Artikel 95 EG, wonach die Gemeinschaft Maßnahmen erlassen kann, um das Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen.

Mit dieser Richtlinie sollen die verschiedenen nationalen Regelungen über diese Erzeugnisse einander angeglichen werden, um ihren freien Verkehr sicherzustellen und gleichzeitig ein hohes Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten. Zu diesem Zweck führt die Richtlinie ein „Positivlistensystem“ ein, wonach in der Gemeinschaft nur Erzeugnisse vermarktet werden dürfen, die in den Listen im Anhang der Richtlinie aufgeführte Stoffe enthalten. Die Mitgliedstaaten dürfen den Handel mit diesen Erzeugnissen weder untersagen noch beschränken. Stellt ein Stoff keine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar, kann er durch Entscheidung der Kommission, die durch einen Ausschuss und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit unterstützt wird, in die Liste aufgenommen werden. Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten spätestens ab dem 1. August 2003 den Verkehr mit Erzeugnissen zulassen, die in der Liste aufgeführte Stoffe enthalten, und spätestens ab dem 1. August 2005 den Verkehr mit Erzeugnissen untersagen, die der Richtlinie nicht entsprechen.

Die Alliance for Natural Health (eine europaweite Vereinigung von Herstellern, Groß-, Vertriebs- und Einzelhändlern sowie Verbrauchern von Nahrungsergänzungsmitteln), die Nutri-Link Ltd (ein kleiner Vertriebs- und Einzelhändler) sowie die National Association of of Health Stores und die Health Food Manufacturers Ltd (Wirtschaftsverbände, die rund 580 Unternehmen vertreten, die im Vereinigten Königreich Reformkost liefern) haben vor dem britischen High Court of Justice die Gültigkeit der britischen Verordnungen bestritten, mit denen die Richtlinie umgesetzt worden ist. Ihrer Auffassung nach verletzen die Bestimmungen der Richtlinie, die die Vermarktung von Erzeugnissen untersagen, die nicht der Richtlinie entsprechen, mehrere Grundsätze des Gemeinschaftsrechts; sie seien außerdem auf einer falschen Rechtsgrundlage erlassen worden. Der High Court hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen vorgelegt.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof das Vorbringen der Klägerinnen zurück und bestätigt die Gültigkeit der Richtlinie.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass vor Inkrafttreten der Richtlinie für Nahrungsergänzungsmittel unterschiedliche einzelstaatliche Rechtsvorschriften galten, die den freien Verkehr mit diesen Erzeugnissen behindern und das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen konnten. Diese Situation wird dadurch bestätigt, dass der Gerichtshof mit mehreren Rechtssachen befasst war, in denen Wirtschaftsteilnehmer in einem Mitgliedstaat auf Hindernisse für den Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln gestoßen waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig vertrieben wurden, und dass bei der Kommission aufgrund von Abweichungen zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zahlreiche Beschwerden eingegangen waren. Daraus schließt der Gerichtshof, dass sich die Richtlinie zu Recht auf Artikel 95 des EG-Vertrags stützt.

Die Klägerinnen haben außerdem geltend gemacht, dass die Bestimmungen der Richtlinie mit dem freien Warenverkehr unvereinbar seien. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass bestimmte Beschränkungen durch den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt sein können, und vertritt die Ansicht, dass die fraglichen Maßnahmen zur Erreichung dieses Zieles erforderlich und geeignet sind.

Ein Negativlistensystem würde möglicherweise nicht ausreichen

Ein Negativlistensystem würde nämlich möglicherweise nicht ausreichen, um das betreffende Ziel zu erreichen. Ein solches System könnte zur Folge haben, dass ein Stoff ohne Einschränkung bei der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln verwendet würde, obwohl er, z. B. aufgrund seiner Neuheit, keiner wissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden wäre, mit der sichergestellt wird, dass er nicht mit einer Gefahr für die menschliche Gesundheit verbunden ist.

Der Gerichtshof fügt hinzu, dass ein Positivlistensystem ein Verfahren vorsehen muss, das die Aufnahme eines bestimmten Stoffes in diese Listen ermöglicht und den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Rechtssicherheit entspricht. Ein solches Verfahren muss zugänglich, d. h. in einem die betroffenen Behörden bindenden Rechtsakt von allgemeiner Geltung ausdrücklich vorgesehen, sein, es muss innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können, und ein Antrag auf Aufnahme eines Stoffes darf nur auf der Grundlage einer eingehenden Risikobewertung abgelehnt werden, die anhand der zuverlässigsten wissenschaftlichen Daten, die verfügbar sind, und der neuesten Ergebnisse getroffen wird. Zudem muss eine Ablehnung in einem gerichtlichen Verfahren angefochten werden können. Obwohl keine Bestimmung in der Richtlinie als solche sicherstellt, dass die Phase der Anhörung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit in transparenter Weise und innerhalb angemessener Frist zu Ende geführt wird, wird durch das Fehlen entsprechender Vorschriften nicht der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens zur Änderung der Positivlisten innerhalb angemessener Frist gefährdet. Der Gerichtshof unterstreicht allerdings, dass die Kommission die Maßnahmen zu ergreifen und den Betroffenen zugänglich zu machen hat, die erforderlich sind, um allgemein die Transparenz und eine angemessene Dauer dieser Phase sicherzustellen.

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