Die Pharma-Industrie, die Ärzteschaft und Tierversuche (3)
Jeder, der die Anklage-Schrift Dr. Colemans gelesen hat, kann nicht mehr behaupten, er hätte von den skrupellosen Machenschaften der Pharma-Industrie nichts gewusst! In diesem letzten Beitrag gibt Dr. Coleman ohne Rücksicht auf Verluste sein Insiderwissen
Von Dr. med. Vernon Coleman
Pharmakritik Teil 3
Die totale Kontrolle, welche die Pharmaindustrie über die medizinischen Berufsstände erlangt hat, wäre vielleicht noch eher zu ertragen, wenn die pharmazeutische Industrie sich durch Ehrlichkeit auszeichnen würde – und selbst dann, wenn man diese Industrie mit gutem Gewissen als ehrlich und vertrauenswürdig bezeichnen könnte, hätten wir immer noch die sehr befremdliche Situation, dass es einer Industrie gestattet sein sollte, ihre eigenen Produkte zu beurteilen und diese Beurteilungen dann so zu veröffentlichen, als handle sich um unabhängige Expertisen.
Doch obwohl die meisten Hersteller verschreibungspflichtiger Medikamente nicht müde werden, ihre Verantwortung für den kranken Menschen PR-wirksam zu proklamieren, kann man die pharmazeutische Industrie beim besten Willen nicht als ehrlich bezeichnen. Zweifelsohne gibt es auf der ganzen Welt keine Industrie, die sich durch eine solche Skrupellosigkeit, offenkundige Unehrlichkeit und Manipulationsfreudigkeit hervortut.
Im Vergleich mit den Pharmamultis nimmt sich die Rüstungsindustrie wie eine Vereinigung von Philanthropen aus. Gegen ihre Gegner führt sie ungenierte Vernichtungs- und Verleumdungskampagnen, während die Pharmamanager sich keines Machtmissbrauchs scheuen, wenn es darum geht, ihre in die Schusslinie geratenen Unternehmen zu verteidigen. Auf dem Altar der Gewinnmaximierung werden Millionen von Patienten bewusst erheblichen Risiken ausgesetzt, ein pharmazeutisches Vernichtungswerk, dem Heerscharen von willfährigen Ärzten Vorschub leisten, indem sie unkritisch neue und ungenügend geprüfte Präparate in Fällen verordnen, in denen bewährte oder alternative Therapien von besserer und sicherer Wirkung wären.
Man muss sich bewusst werden, dass Arzneimittelunternehmen nicht angetreten sind, um als Wohltäter der Menschheit zu wirken. Sie sind ganz einfach im Geschäft wie alle anderen Unternehmen auch, und wenn sie größere Gewinne aus dem Absatz von Rasenmähern oder Dosengemüse erzielen könnten, würden diese Unternehmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sich auf Dosengemüse oder Rasenmäher verlegen.
Bestechung bei der Zulassung von Medikamenten
In den Siebzigerjahren hat die US-Börsenaufsichtsbehörde (American Securities and Exchange Commission, SEC) das Ausmaß von Bestechung in amerikanischen Unternehmen untersucht und stellte drei Industriezweige fest, die sich durch ihre Profitgier die Hände besonders schmutzig gemacht hatten: die Ölmultis, die Flugzeugindustrie und die pharmazeutische Industrie. Zahlreiche Firmen gaben die Bezahlung von Bestechungsgeldern an Regierungsstellen zu, um die Zulassung von bestimmten Medikamenten zu sichern.
Die Androhung einer einzigen Untersuchung führte damals zu zahlreichen „Rücknahme-oder Rückhol- Aktionen“, von denen mehr als 100 medizinische Produkte betroffen waren, und zahlreiche führende Unternehmen wurden der Korruption, des Betrugs und der Falschaussage überführt.
Zum wiederholten Male haben Arzneimittelhersteller in irreführender Weise die Nebenwirkungen neuer Medikamente untertrieben, ungenügende Warnungen über die Dosierung und Suchtgefahr ausgegeben, und irreführende Behauptungen über ihre Produkte gemacht.
Pharmaunternehmen haben die Herstellungsweise und die Spezifikationen von Medikamenten verändert, ohne ausreichende Auskunft zu geben, haben über Nebenwirkungen gelogen, irreführendes Informationsmaterial an die Ärzteschaft verteilt, sowie unangemessen breite Indikationen für die Anwendung neuer Medikamente angegeben, um die größtmöglichen Absätze zu erzielen. Bei der Einführung neuer Medikamente haben die Hersteller es immer wieder verstanden, allzu rosige Bilder zu malen.
Gefälschte klinische »Studien«
Bei den klinischen Daten, die der Ärzteschaft zugänglich gemacht werden, wenden die Hersteller routinemäßig selektive Verfahren an, wobei bestimmte Arten von Patienten aus den Versuchen ausgeklammert werden. Obwohl ältere Personen wesentlich mehr Arzneimittel als andere Patientengruppen einnehmen, werden sie meist aus den Versuchen ausgeklammert, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen oder das Auftreten von unliebsamen oder gar gefährlichen Reaktionen am größten ist.
Die Tatsache, dass nur ein kleiner Prozentsatz der klinischen Arbeiten, die weltweit in den medizinischen Fachzeitschriften abgedruckt werden, statistisch gültig ist, kommt den Arzneimittelherstellern am meisten entgegen. Die Pharmaunternehmen haben ein berechtigtes Interesse daran, dass die Qualität der abgedruckten Forschungsarbeiten niedrig bleibt.
Wenn die medizinischen Fachzeitschriften weltweit damit beginnen würden, kritische und akkurate Studien zu veröffentlichen, müssten Tausende von Arzneimitteln über Nacht aus den Regalen geräumt werden.
Das gegenwärtige, von Chaos und Konfusion geprägte System gestattet wenigstens den Pharmaherstellern einen fortgesetzten, störungsfreien Absatz ihrer Produkte, während die Ärzte diese Produkte in offensichtlicher Unkenntnis ihrer Nutzlosigkeit und Gefahren weiterhin verordnen können.
Betuchte Journalisten
Die überwältigende Mehrheit der Redakteure der medizinischen Fachzeitschriften tun das Ihrige, um die bestehende Situation aufrechtzuerhalten. Ihre Gehälter werden in den meisten Fällen (direkt oder indirekt) aus Geldern der Pharmaindustrie bezahlt, und sie haben ein wesentlich größeres Interesse daran, irgendwelche neuen und aufregenden Arbeiten, die von sensationellen Heilungen künden, zu veröffentlichen, als Beiträge über die Schäden, die durch nutzlose oder potentiell lebensgefährliche Produkte angerichtet werden.
Ein beliebter Trick besteht darin, ein neues Arzneimittel mit den schlechtesten noch verfügbaren Produkten zu vergleichen, so dass das neue Produkt besonders gut abschneidet (so greift man bei der Einführung eines neuen anti-arthritischen Medikaments zu einem besonderen Kunstgriff; anstatt das neue Mittel mit dem relativ unbedenklichen löslichen Aspirin zu vergleichen, stellt man einen Vergleich mit dem unlöslichen Aspirin an, das von den meisten vernünftigen Patienten und Ärzten aufgrund seiner unangenehmen Magennebenwirkungen vermieden wird.) Die Herstellerfirmen spielen die Nebenwirkungen herunter, unterdrücken die Ergebnisse von besorgniserregenden Versuchsreihen und versuchen, neue Mittel rasch und auf breiter Basis einzuführen, bevor die Nebenwirkungen bekannt werden.
Ärzte, die bei den ersten Versuchsreihen unangenehme oder gefährliche Nebenwirkungen feststellen, werden häufig erleben, dass man ihren Versuch einstellt. Auf diese Art und Weise werden Arzneimittel ohne jeglichen klinischen Wert auf den Markt gebracht, und den Pharmaherstellern gelingt es, riesige Mengen von Medikamenten abzusetzen, die mehr Schaden anrichten als Nutzen erbringen, wie jedermann, der es sehen will, erkennen kann.
Anstatt neue Arzneimittel für bestimmte Krankheiten einzuführen, geben die Hersteller das meiste Geld dafür aus, bestehende Medikamente zu kopieren und anschließend Marktnischen für die neuen Produkte zu finden. Einer Industrie, die ursprünglich von Wissenschaftlern angeführt wurde, stehen nun Marketing-Experten vor. Anstatt nach neuen Medikamenten für die Behandlung von Krankheiten zu suchen, setzen Pharmamanager ihre Energien dafür ein, neue Marketing-Gesichtspunkte für bestehende und ansonsten nutzlose Produkte zu entdecken, oder sie fahnden nach Wegen zur Umgehung von Patentregelungen, um Medikamente als Konkurrenz zu bestehenden, erfolgreichen Produkten einführen zu können.
Wenn Ärzte klinische Versuche für neue Medikamente organisieren, wird ihnen in den meisten Fällen mitgeteilt, dass der Hersteller des betreffenden Medikaments sich das Recht vorbehält, über die Veröffentlichung zu entscheiden und zu verfügen. Pharmaunternehmen behalten sich ebenfalls das Recht vor, wenig schmeichelhafte Passagen streichen zu dürfen, oder Versuche, die dem Verkauf des Produktes abträglich wären, nicht zu veröffentlichen. Die Ärzte lassen sich diese Praktiken gefallen, um sich ihre bezahlte Teilnahme an den Versuchen zu sichern. Inzwischen ist der Ärztestand von der gleichen Unaufrichtigkeit geprägt wie die Pharmaindustrie.
Menschen werden als Versuchskaninchen missbraucht
Tragischerweise überträgt sich diese Haltung häufig auf die Art und Weise, in der Ärzte jene Patienten behandeln, die als Versuchspersonen fungieren. In den meisten Ländern ist es inzwischen fast schon gängige Praxis, dass Patienten nicht über ihre Teilnahme an einem klinischen Versuch aufgeklärt werden. Tausende von Patienten haben schwere Nebenwirkungen erlitten, nachdem sie in einer solchen unethischen Weise »missbraucht« worden sind – einige haben sogar mit ihrem Leben bezahlt.
Diese Unehrlichkeit überträgt sich mit Sicherheit auch auf die Einstellung der Ärzte, die an diesen Versuchen teilnehmen. Zahlreiche Ärzte wurden bereits angeklagt wegen der Verfälschung von Ergebnissen und der Erfindung von nicht-existenten Patienten im Rahmen von Medikamententests für große Pharmaunternehmen.
Trotz der Tatsache, dass der Pharmaindustrie ein beängstigender und begründeter Ruf der Unehrlichkeit vorauseilt (und einer Ärzteschaft, die sich offensichtlich beeilt, Versäumtes nachzuholen), verzichten Arzneimittelzulassungsbehörden weltweit darauf, ihre eigenen Bewertungen neuer Arzneimittel durchzuführen. Mit einer staunenswerten Vertrauensseligkeit verlassen sie sich immer noch auf die Arzneimittelhersteller, die eine Zulassung beantragen.
»Wissenschaftlichkeit« dient nur zu Image-Zwecken
In vielen Fällen ist die Werbung, die den Ärzten als Information dienen sollte, von einer frappierenden Unehrlichkeit.
Schon vor langer Zeit haben die Arzneimittelhersteller begriffen, dass ihre wichtigste Aufgabe im Aufbau und der Pflege eines wissenschaftlichen Images besteht. Da ihnen die zentrale Bedeutung dieses Faktors für den wirtschaftlichen Erfolg stets bewusst gewesen ist, haben sie große Anstrengungen für einen möglichst wissenschaftlichen »Auftritt« ihrer Produkte unternommen. Alle großen Pharmahersteller sind sich darüber im Klaren, dass das, was ein Medikament verspricht, wesentlich wichtiger ist als das, was das Produkt tatsächlich leistet. Zum wiederholten Male haben Arzneimittelfirmen neue Produkte eingeführt und für eine Bandbreite von Störungen angeboten, trotz einer äußerst dürftigen Beweislage für einen bestenfalls bescheidenen Nutzen. Die pharmazeutische Industrie ist insofern einzigartig, indem ihre Produkte nicht an die Personen verkauft werden, die sie konsumieren, sondern im Wesentlichen an Ärzte. Die Personen, die ihre Produkte »kaufen«, müssen nicht dafür »bezahlen«.
Vor zwei oder drei Jahrzehnten haben die Arzneimittelhersteller das einfache Rezept gefunden, das große Gewinne garantiert. Für die Behandlung von häufig vorkommenden, chronisch verlaufenden und schlecht definierten Krankheiten entwickelt man Medikamente, die irgendeine Art von messbarer Wirkung erzielen; dann führt man entsprechende Tierversuche durch, beantragt den erforderlichen Patentschutz und steckt Unsummen in das richtige Marketing – auf diese Weise werden bahnbrechende neue Medikamente für die Behandlung moderner Syndrome kreiert.
Ab den Sechzigerjahren haben die Pharmaunternehmen endgültig den Schwerpunkt auf das Marketing als Schlüssel zur Gewinnoptimierung gelegt. Die Patienten sollten bestimmte Arzneimittel kennen und diese Produkte verlangen, und so wurden riesige Summen für die Betreuung von Ärzten ausgegeben; von üppigen Konferenzen bis zu satten Beratungshonoraren. Bei der Überzeugungsarbeit wurde gewiss nicht gespart, schließlich sitzen ja beide Seiten im selben Boot, nicht wahr?
Ich erinnere mich an den Fall eines Ministers einer Regierung, der einmal öffentlich zugegeben hat, dass Arzneimittelfirmen mit ihrer Werbung wiederholte Male gegen bestehende Regeln und Vorschriften verstoßen haben. In der Tat sind falsche Behauptungen und nicht ausreichende Warnungen in der Pharmawerbung derart häufig, dass die ganze Industrie zusammenbrechen würde, wenn leitende Angestellte bei jedem Verstoß zurücktreten müssten.
Die irreführende Pharmawerbung wird bewusst so konzipiert, um Ärzte zu pauschalen und übermäßig häufigen Verordnungen zu ermutigen. Was ihre Ehrlichkeit und Verlässlichkeit anbelangt, kann diese Werbung es mit jeder politischen Erklärung aufnehmen; sie ist unwissenschaftlich, primitiv, voreingenommen, irreführend und bewusst verlogen in Stil und Inhalt. Ärzte, die dieser Werbung Glauben schenken, müssen der pharmazeutischen Industrie blind vertrauen und haben offensichtlich nicht begriffen, dass sie benützt werden.
Das Werbematerial der Arzneimittelhersteller lässt sich in zwei Kategorien einteilen:
- Die erste Kategorie soll die Aufmerksamkeit des Arztes gefangen nehmen, ehe er sich zu einer Verordnung entschließt. Der Großteil dieses Materials sieht so aus, als wäre es für Fünfjährige konzipiert. Da gibt es viele hübsche, bunte Bilder, Cartoons, sowie allerlei kurzweilige Falt- und Klappausschnitte und derlei Schnickschnack mehr.
- Die zweite Kategorie umfasst die wissenschaftliche Information, d.h. einige grundlegende Details über die beabsichtigte Wirkungsweise des Medikaments. Der Großteil dieser kleingedruckten Angaben ist völlig unverständlich für jeden, der nicht gerade ein Experte auf dem betreffenden Gebiet ist. Die Arzneimittelhersteller möchten den verordnenden Ärzten das Gefühl vermitteln, sie seien Kooperationspartner in wichtigen wissenschaftlichen Arbeiten, aber zu eng wollen sie diese Kooperation natürlich auch nicht geraten lassen.
Wenn die betreffenden Medikamente wirklich lebensnotwendig (»notwendig« ist ja das, was die Not wendet), lebensrettend wären, bräuchte man keine Vertreter, keine manipulierten Versuche und keinen Werberummel. Aber in Wahrheit muss der Bedarf für jedes neue Medikament erst geschaffen werden, und das Risikoverhältnis zwischen den Vorteilen und Nachteilen des Medikaments muss zugunsten der Herstellerfirma zurechtgebogen werden. Marketing ist immer zuerst das Kreieren von Nachfrage.
Lasche Gesundheitsminister
Unsere Gesundheitsminister hätten die Kompetenzen, die auf Abwege geratenen Pharmahersteller zur Ordnung zu rufen und wo erforderlich mit Geldstrafen zu belegen. Aber dies geschieht nur selten, denn unseren Gesundheitsministern liegt die Gesundheit der Pharmaindustrie eher am Herzen als die der Patienten.
Ich denke hierbei auch an den bekannten Fall eines Arzneimittelherstellers, der wegen irreführender Werbung für eines seiner Produkte angeklagt und für schuldig befunden wurde. Die Firma und der verantwortliche Geschäftsführer kamen mit glimpflichen Geldstrafen davon, während die Firma das Produkt ohne Einschränkung weiterverkaufen durfte.
Vor einigen Jahren wurden dreitausend Stichprobenanalysen von Medikamenten durchgeführt, wobei fast ein Drittel aller untersuchten Medikamente nicht den Prüfvorschriften entsprachen. So haben die Versuche zum Beispiel ergeben, dass einige Tabletten eines bestimmten Medikamentes sich innerhalb von fünf Minuten auflösten, während andere sich nach einer Stunde noch nicht aufgelöst hatten.
Es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität, dass die Hersteller von Süßigkeiten die Inhaltsstoffe ihrer Produkte genau deklarieren müssen, damit Eltern bestimmte allergieverursachende Zusatzstoffe vermeiden können, während es keine entsprechenden Auflagen für Arzneimittelhersteller gibt. Dabei ist es gut zu wissen, dass es Hersteller gibt, die Farbstoffe einsetzen, die als Allergene im Verdacht stehen.
Ich habe nicht den leisesten Zweifel, dass die Zulassungsbehörden eine bemerkenswerte Milde im Umgang mit der Pharmaindustrie walten lassen, und dabei ein Ausmaß von Vertrauensseligkeit an den Tag legen, die man gelinde gesagt als deplatziert bezeichnen muss. (Der zynische Beobachter wird hierbei einwenden, dass diese Milde keineswegs überraschen sollte, wenn man die Zahl der Personen bedenkt, die von den Zulassungsbehörden beschäftigt werden, welche zugleich auch auf den Gehaltslisten der Arzneimittelhersteller stehen).
Weltweit dürfte die Zahl der Personen in den Arzneimittelzulassungsbehörden, die der Pharmaindustrie nicht in irgendeiner Weise verpflichtet sind, außerordentlich niedrig sein.
Unverständliche Nachgiebigkeit
Es kann inzwischen keine Zweifel mehr daran geben, dass man der pharmazeutischen Industrie schlicht und einfach nicht trauen kann. Und dennoch tun unsere Regierungen und die Ärzteschaft nichts anderes als das: sie verlassen sich bei Entscheidungen der Arzneimittelsicherheit auf Forschungsarbeiten, die von der Pharmaindustrie bezahlt werden.
Die anerkannte Tatsache, dass die Produkte, die sich am besten verkaufen, nicht notwendigerweise auch die effektivsten sind, sondern diejenigen, die am aggressivsten und am kreativsten vermarktet werden, wird allgemein geflissentlich übergangen. Während sie bei ihrem dynamischen Profitstreben gegen Gesetze und Regeln aller Art verstoßen, können Arzneimittelhersteller sich in der Sicherheit wiegen, dass selbst im schlimmsten Fall von auftretenden Schäden und den damit verbundenen Klagen, die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung außerordentlich gering ist.
Wenn alle sprichwörtlichen Stricke reißen, können die Pharmaunternehmen dahingehend argumentieren, dass das betreffende Mittel die Zulassung von den verantwortlichen Behörden erhalten hat, und dass die Firma daher auch alles getan haben muss, um das Produkt ausreichend zu testen. Nach dieser Argumentation trifft das Unternehmen keine Schuld für unangenehme oder schwere Nebenwirkungen, die sich erst nach der Zulassung und Einführung eines Medikaments gezeigt haben.
Der Grund, warum die Pharmahersteller sich dermaßen aggressiv, rücksichtslos und geldgierig gebärden, liegt vermutlich darin, dass es sich um die gewinnträchtigste Industrie der Welt handelt. Diese Industrie zieht naturgemäß geldgierige Menschen an, die vor allem noch mehr Geld verdienen wollen, anstatt Menschen mit edleren Motiven, denen das Wohl der Menschheit am Herzen liegt.
Härter und profitabler als Rauschgift-Handel
Wenn die Kokainbosse in Kolumbien wüssten, wie leicht man durch den Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente legal das große Geld machen kann, würden sie den Schmuggel über Nacht einstellen und in die Pharmaindustrie einsteigen – d.h. wenn sie hart genug dafür wären.
Wie die Chancen stehen, würden sie sich wahrscheinlich bald geschlagen geben müssen, denn in diesem Haifischbecken haben nur die rücksichtslosesten Akteure so etwas wie eine Überlebenschance. Vor einigen Jahrzehnten tummelten sich noch tausende von Arzneimittelherstellern auf dem Markt. Während der Großen Depression der 30er Jahre in den Vereinigten Staaten sind über 3.500 Arzneimittelfirmen eingegangen. Heute wird der weltweite Absatz von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln von einer relativ kleinen Gruppe von global agierender Unternehmen kontrolliert.
Es ist nicht schwer zu begreifen, warum die Pharmaindustrie sich dermaßen rücksichtslos gebärdet. Schließlich sind die Gewinnspannen schlicht und einfach phänomenal. Ein jährliches Absatzvolumen von Hundert Millionen Dollar bei einem einzigen Produkt ist nicht ungewöhnlich. (Allein Ciba Geigy setzt mit einem nahezu nutzlosen »Anti-Raucher-Pflaster« eine Milliarde DM um). Für jeden Dollar Umsatz, der durch den Verkauf von Pharmaka erzielt wird, bleiben 90 Cent Gewinn übrig. Die Rohsubstanzen für ein Medikament kosten vielleicht weniger als 100 Dollar pro Kilo. Die Kosten für die Verarbeitung der Rohsubstanz zu 100.000 Pillen und die erforderliche Verpackung belaufen sich vielleicht auf 1000 Dollar. Der Verkaufspreis dieser 100.000 Pillen wird in jedem Fall über 10.000 Dollar liegen. Das einzige andere international vertriebene Produkt, das sich mit diesen Gewinnspannen messen kann, ist Kokain.
Arzneimittelhersteller verdienen häufig Mindestjahresgewinne von zwischen 30 Prozent und 50 Prozent ihres eingesetzten, produktiven Kapitals. Diese Gewinne verstehen sich übrigens abzüglich massiver Zahlungen vor und nach dem Reingewinn, sowie der Lohnzahlungen an die eigenen Beschäftigten, die weit über dem vergleichbaren Niveau in anderen Industriezweigen liegen.
Unverschämte Gewinne
Da das Volumen der verschriebenen Medikamente auch nicht gerade nach unten weist, sind diesbezüglich keine herben Gewinnrückschläge zu befürchten. Ganz im Gegenteil, wie eine jüngste Studie von über 2.000 Krankenhausaufnahmen gezeigt hat, ist die Anzahl von Medikamenten, die pro Patient verordnet werden, innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren um fast 50 Prozent gestiegen. Dies ist vielleicht nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Ärzte auf der ganzen Welt häufig zusätzliche Einnahmen durch die Verordnung von Medikamenten erzielen können.
In Japan sind die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten durch die Verordnung von Medikamenten von einer einzigartigen Absurdität. Die japanische Regierung zahlt jedem Arzt bei jeder Verordnung eine Gebühr. Die japanischen Ärzte kaufen die Arzneimittel vom Großhändler weit unter den Abgabepreisen und behalten dann den Gewinn. Daher gibt es für die japanischen Ärzte einen nicht unerheblichen finanziellen Anreiz, sich beim Griff zum Rezeptblock keine Zurückhaltung aufzuerlegen. Dabei gilt: Je teurer das Medikament, desto größer der Gewinn. So betrachtet hat der Arzt des zwanzigsten Jahrhunderts noch viel mit dem früheren Apotheker gemeinsam, der seinen Lebensunterhalt durch die Abgabe von Medikamenten verdiente.
Vor zehn Jahren entfielen fünf Prozent der Kapitalisierung der Londoner Börse auf Arzneimittelhersteller, ein Anteil, der sich mittlerweile verdoppelt hat. Im Jahr 1982 betrug der Anteil der Pharmahersteller an der amerikanischen Börse 7,4 Prozent, und beläuft sich inzwischen ebenfalls auf das Doppelte. Heute stellen die Pharmaunternehmen den größten Sektor an der Börse dar, größer als der Anteil der Ölmultis.
Außenseiter können unmöglich die jährlichen Reingewinne der großen Pharmaunternehmen beziffern, doch liegen diese sicherlich wesentlich über 50 Prozent des eingesetzten, produktiven Kapitals. Es gibt weltweit keine Industrie, die sich mit der Pharmaindustrie messen kann, was die erzielten Gewinne anbelangt.
Während die meisten anderen Industriezweige im Zuge der weltweiten Rezession Ende der Achtziger- und Anfang der Neunziger Jahre erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurden, sind die Aktien der internationalen Pharmahersteller kometenhaft gestiegen. Natürlich werden diese gigantischen Gewinne nicht immer nach außen dargestellt. Es gibt viele Wege und Mittel, um Gewinne zu senken, und damit Steuern zu sparen und die Gefahr von Überprüfungen zu reduzieren.
Für internationale Unternehmen (und die größten Arzneimittelhersteller operieren auf internationaler Basis seit ihre Gründer Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Vorteile der weltweiten Vermarktung ein und derselben Produkte entdeckt haben) besteht die einfachste Gewinnverlagerungstaktik darin, die Grundsubstanzen in Ländern mit niedrigen Steuersätzen herzustellen, um diese dann zu hohen Preisen an Tochtergesellschaften in Ländern mit hohen Steuersätzen zu verkaufen. So werden Gewinne auf einfache, rasche und legale Art und Weise an den richtigen Ort verlagert.
Kumpanei von Politik und Pharma-Industrie
Gelegentlich vernimmt man Politikerstimmen, die die obszönen Gewinne der Pharmaunternehmen monieren, doch mit der ihr eigenen Effizienz und Skrupellosigkeit wird die Branche mit den Politikern leicht fertig. Die Wahrheit ist, dass die Mehrzahl der Politiker aus einer Reihe von verschiedenen Gründen die Pharmaindustrie lieber gewähren lässt. Die rentablen Unternehmen bedeuten Arbeitsplätze und Steuereinnahmen und in den meisten entwickelten Ländern tragen sie zur Verbesserung der Außenhandelsbilanz bei. Selbst den marodesten Betrieben sollte es gelingen, ihre Produkte in den Entwicklungsländern abzusetzen.
Der wichtigste Grund jedoch, warum die Politik die Pharmaindustrie lieber an der langen Leine lässt, liegt darin, dass weder Politiker noch die Industrievertreter ein besonderes Interesse an der Überwindung von Krankheiten haben. Der Pharmaindustrie kommt es gelegen, wenn eine möglichst große Anzahl von Personen an chronischen, unheilbaren Krankheiten leidet. Den Politikern kommt es gelegen, wenn möglichst viele Menschen sterben, ehe sie das Rentenalter erreichen. Wenn mehr Geld für eine sinnvolle Krebsprophylaxe ausgegeben werden würde (etwa 80 Prozent aller Krebsformen lassen sich verhindern), wäre ein dramatischer Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung die Folge, verbunden mit einem Rückgang schwerer Krankheiten und Gebrechlichkeit. Aber die Pharmaindustrie möchte keine gesunde Menschheit (was ja mit Absatzrückgängen gleichbedeutend wäre) und die Politiker möchten keine Erhöhung der Lebenserwartung, denn ihnen ist heute schon klar, dass sie die anfallenden Rentenzahlungen niemals aufbringen könnten.
Die erstaunliche Wahrheit ist, dass der Pharmaindustrie an einer miserablen Volksgesundheit gelegen ist, um ihre Gewinne zu erhalten, während die Politiker ihnen dabei behilflich sind. Die Ärzteschaft, die ihre Seele teuer verkauft hat und nun von einer Industrie beherrscht wird, deren oberstes Ziel die Verschlechterung der Volksgesundheit ist, übt höchst selten Kritik an der Pharmaindustrie.
Die Pharma-Industrie ist Eigentümer der Schulmedizin
Die meisten akademischen Forschungsabteilungen, medizinischen Fachzeitschriften und medizinischen Gesellschaften sind zu einem erheblichen Grad, wenn nicht gar vollkommen abhängig von der Arzneimittelindustrie. Mit anderen Worten, die Pharmaindustrie kann als Eigentümer der Schulmedizin und ihrer Institutionen gelten.
Natürlich leugnet die Pharmaindustrie ihren ausschließlich gewinnorientierten Charakter. Dabei verweisen ihre Vertreter und Pressesprecher auf die gewaltigen Summen, die für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel investiert werden, ein wahrlich ehrenwertes und edles Unterfangen.
Es fällt jedoch nicht allzu schwer, die absurde Unehrlichkeit dieser Argumente zu entlarven.
Die Wahrheit ist, dass ein großer Teil jener angeblich für die »Forschung« aufgewendeten Mittel in Wirklichkeit in Marketingaktivitäten einfließt. Es gibt viele Mittel und Wege, mit denen die Unternehmen diesbezügliche Täuschungsmanöver einsetzen können, sowie einen breiten Spielraum für finanz- und bilanztechnische Taschenspielereien, der von Kennern der Materie virtuos ausgeschöpft werden kann.
Der simpelste Trick besteht darin, sogenannte »klinische Forschungsversuchsreihen« für die Zeit direkt nach der Einführung eines neuen Medikamentes zu organisieren, wobei niedergelassene Ärzte für die Verordnung und Bewertung des neuen Präparates bezahlt werden.
Bezahlte »Studien« ohne jeden wissenschaftlichen Wert
In manchen Fällen erhalten die engagierten Ärzte Geld für diese anspruchsvolle Tätigkeit (bis zu 100 Pfund pro Patient scheint Anfang der Neunzigerjahre eine gängige Summe zu sein), in anderen Fällen werden ihre Mühen mit Flugtickets, Farbfernsehgeräten oder Computern abgegolten. Die meisten Patienten haben keine Ahnung, dass sie als »Versuchskaninchen« fungieren und dass ihre wiederholten Praxisbesuche dazu angetan sind, ihrem Arzt ein Zubrot zu bescheren. Vermutlich liegt die Entscheidung beim niedergelassenen Arzt, wie er derlei »Werbegeschenke« am besten steuerlich unterbringt.
Die klinische Relevanz dieser breitangelegten Versuche mit praktischen Ärzten ist meist gleich Null (in der Tat werden die von den Ärzten ausgefüllten Formulare in manchen Fällen einfach weggeworfen), denn eigentlich geht es darum, den Arzt an die Verordnung des neuen Medikaments heranzuführen. In einem Fall von drei neuen Medikamenten, die nach Markteinführung auf diese Art und Weise »unterstützt« wurden, hat sich herausgestellt, dass auf fünf Prozent aller Ärzte über 50 Prozent der Verordnungen dieser neuen Produkte entfielen.
Wie eine kürzlich durchgeführte Studie mit praktischen Ärzten gezeigt hat, gab es Tausende von Kollegen, die bereit waren, neue Medikamente vor ihrer allgemeinen Einführung zu erproben, während weitere Tausende großes Interesse bekundeten, neue Medikamente gleich nach ihrer Einführung einzusetzen, ohne etwaige Beobachtungen über Risiken und Nebenwirkungen abzuwarten. Insgesamt war ein Drittel der praktischen Ärzte gerne bereit, neue Medikamente vor ihrer allgemeinen Einführung zu verordnen – vor einer gründlichen Bewertung der Vor- und Nachteile des neuen Präparates.
Von den finanziellen Zuwendungen und Farbfernsehern abgesehen, ist die einzige Erklärung für diesen leichtfertigen Umgang mit dem Leben der Patienten wohl diejenige, dass die Verordnung von neuen, »innovativen« und unerprobten Medikamenten den praktischen Ärzten das Gefühl vermittelt, Teil einer »wissenschaftlichen« Medizin zu sein.
Von der Bilanztechnik her lassen sich die Aufwendungen für klinische Versuche mit praktischen Ärzten unter der Sparte »Forschung« führen, während es sich in Wirklichkeit um reine »Marketing«-Ausgaben handelt. Dass diese Versuche häufig Nebenwirkungen unerkannt lassen und von außerordentlich bescheidenem wissenschaftlichen Wert sind, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Häufig winken besondere finanzielle Vorteile durch die Klassifizierung von »Marketing«-Ausgaben als »Forschungs«-Kosten, da die zulässigen Gewinne in einigen Ländern an die Forschungskosten gekoppelt sind.